Ethik

Ich habe hier einen alten usenet-Beitrag verwendet und bitte für die noch nicht überarbeitete Formatierung um Entschuldigung.

1. Eine Ethik muss das Glueck der Subjekte (=Elemente) eines Kollektivs
in irgend einer Weise optimierend organisieren.

1.1. Moegliche Kollektive sind zB. die Menge
1.1.1. aller Menschen,
1.1.2. aller Mitglieder eines Verbrechersyndikates,
1.1.3. aller Sippenoberhaeupter,
1.1.4. aller tierischen Lebewesen einschliesslich der Menschen,
1.1.5. aller Menschen eines Volkes, oder - die Liste liesse sich beliebig lange fortsetzen - allgemein eine Menge
1.1.6. von entscheidungs- und genussfaehigen Subjekten.

1.2. Hier entsteht schon die erste Schwierigkeit, naemlich ueber welcher
Menge eine Ethik definiert werden soll. Die Geschichte zeigt, dass die Wahl
des Kollektivs nicht selbstverstaendlich ist.

1.3. Eine Ethik ist zunaechst unabhaengig von der Definition des Kollektivs.

1.3.1. Beispiel: Ergaebe sich in einer zu formulierenden Ethik der Satz,
dass sich die Elemente des Kollektivs nicht gegenseitig vernichten duerften,
so hiesse das
- im Falle 1.1.1.,dass man als Mensch nicht andere Menschen morden duerfte,
- im Falle 1.1.4., dass man als Mensch darueberhinaus sich vegetarisch zu
ernaehren und auf die Fliegenklatsche zu verzichten haette, und
- im Falle 1.1.3., dass man ein Mitglied einer Sippe opfern kann, wie es zB
Lot in 1.Mo19,8 zu tun bereit ist. Diese Bibelstelle ist nur vor dem
Hintergrund der speziellen Definnition des Kollektivs verstaendlich.
- Im Falle 1.1.5. waere das Toeten im Krieg gegen andere Voelker erlaubt,
das Toeten in einem Buergerkrieg aber nicht.

1.3.2. In allen Faellen ist es also verboten, Mitglieder des Kollektivs zu
vernichten, es gilt fuer jedes Kollektiv dieselbe Ethik, und dennoch ist die
Ethik in ihren Auswirkungen fuer den einzelnen Menschen bzw. fuer die Tiere
sehr unterschiedlich, jenachdem ob sie Elemente des Kollektivs sind oder
nicht.

Im Weiteren gehe ich vom Fall 1.1.1. aus.


2. Das Glück der Menschen bildet sich in ihrem Willen, dh. ihren Wünschen ab.
2.1. Dieser Wille kann sich ganz triebhaft äußern, etwa im Saugen eines Säuglings an der Brust. In diesem Fall ist vollkommen klar, wie der Wille des Säuglins zustande kommt, was der Säugling braucht. Man muß ihn bei gewissen Dingen eben einfach nicht erst fragen, um zu wissen, womit er glücklich und zufrieden sein wird.
2.2. Die Triebe können aber auch dergestalt zum Ausdruck kommen, daß die "Gier" sich nicht mehr auf die unmittelbare Befriedigung (etwa das Essen) richtet, sondern auf die Mittel (das Geld) dafür. Aus diesem Grund kann man sich über Geld freuen, obwohl kein Trieb direkt befriedigt wird. Dies ist ein von der Umwelt abhängiger Lernprozeß. Und da jeder in einer ganz individuellen Umwelt aufwächst, hat auch jeder seine ganz individuellen Dinge, die ihn glücklich machen können. Glück ist von daher nur sehr begrenzt objektiv meßbar, sodaß bei einer individuellen Ausformung des Willens eben dieser Wille zum konstitutiven Element einer auszuformulierenden Ethik gemacht werden muß.
2.2.1. Ein fastender Mönch ist zB. glücklich, wenn er nichts essen muß, ein hungerndes Kind ist dagegen glücklich, wenn es essen kann. Oder: Einer hört gerne Mozart und ein Anderer lieber Rock.
2.2.2. Die Ausformung des individuellen Willens geschieht nach einem Algorithmus, in einem Lernprozeß. Das mag wie folgt aussehen:
Man schämt sich fuer Fehler die man gemacht hat. Sie sind peinlich. Eben dieses Gefuehl der Pein (oder des schlechten Gewissens, wenn durch meinen Fehler zusaetzlich zu mir selber auch ein Anderer geschaedigt wurde), das man assoziiert, mag aus frueheren Erlebnissen herruehren, wo ein Fehler mit tatsaechlichen, etwa koerperlichen, Schmerzen verbunden war. *Ich habe zB meinem Spielgefaehrten ein Spielzeug weggenommen, und er hat mich dafuer verpruegelt oder - was vielleicht noch schlimmer ist - geaechtet.* Dieser Schmerz wird auch mit weiteren Fehlern assoziiert, so dass ein Versagen oder ein Verstoss gegen eine ethische Norm fuer das Individuum unangenehme Erfahrungen sein koennen, selbst wenn sie sonst folgenlos bleiben.

2.3. Problematisch wird es, wenn sich ein erster Mensch einbildet, auf eine bestimmte Weise glücklich werden zu können, ein zweiter aber zu wissen meint, daß jener Erste sich damit unglücklich machen würde.
2.3.1. Der Zweite kann den Ersten dann zu seinem Glück zwingen,
2.3.1.1. wenn ein algorithmischer Fehler bei der Bildung des Willens des Ersten klar (wie klar, das ist bei der prinzipiellen menschlichen Unvollkommenheit eine Ermessensfrage, alle Eltern müssen sich mit ihr rumschlagen) erweisbar ist und
2.3.1.2. wenn diese Fehlerhaftigkeit des Algorithmus' dem Ersten prinzipiell nicht vermittelt werden kann, etwa aufgrund ungenügender Reife, einer geistigen Behinderung oder anhaltender Bewußtlosigkeit oder auch akutem Liebeskummer, und gleichzeitig bei Wegfall solcher Umstände mit einer Einsicht des Ersten gerechnet werden müßte.
2.3.2. Grundsätzlich ist dabei (wie natürlich sonst auch) die Möglichkeit, seinen Willen auf eigene Weise zu finden und zu verwirklichen, eben die Harmonie zwischen Wollen und Handeln, als ein glücklichmachendes Moment nicht zu unterschätzen
2.3.3. Religionskriege sind mit diesen Maßstäben praktisch nicht zu rechtfertigen. Ich denke an Bibelstellen wie Exodus32,25ff, Deuteronomium20,16 oder 1.Könige18,40, aber auch an die Todesstrafe für Apostaten im Islam oder an Hexenverbrennungen im Mittelalter. Erklärlich wären diese Phänomene vielleicht unter der zusätzlichen Vorraussetzung, daß in den Köpfen der Henkersknechte ein Junktim bestanden haben muß, das den Abfall ihres Opfers von der Religion mit einer Mißachtung grundlegender ethischer Prinzipien durch ihr Opfer untrennbar verband (vgl. Dtn20,18, gedacht ist möglicherweise an Menschenopfer 3.Mose20,2), ein Irrtum, der auch heute noch weitverbreitet ist. (vgl. 4.4.)


3. Die Wuensche der Menschen konkurrieren miteinander, es koennen zB. nicht
zwei Menschen ein und denselben Apfel ganz aufessen, und


4. diese verschiedenen, oft konkurrierenden Wuensche muessen unter einen Hut
gebracht werden.

4.1. Das geschieht etwa frei nach der Goldenen Regel: Achte den Willen jedes anderen Menschen wie deinen eigenen.

4.1.1. Oft streiten in der eigenen Seele verschiedene Wuensche
miteinander, die sich nicht alle gleichzeitig verwirklichen lassen. Man muss
sich entscheiden, auf das eine verzichten, um das andere verwirklichen zu
koennen.
4.1.1.1. In diesem urspruenglich epikureischen Sinne interpretiere
ich Mt 5,29f.
4.1.2. Jedenfalls existiert im menschlichen Hirn ein Algorithmus, der
verschiedene Wuensche unter einen Hut zu bringen vermag, wenn die
verschiedenen Wuensche ein und demselben Individuum zuzuordnen sind.
4.1.3. Dieser Algorithmus ist auch anzuwenden, wenn Wuensche
unterschiedlichen Individuen zuzuordnen sind.
4.1.4. Das hiesse zB., dass der Hunger meines Naechsten mir wie mein
eigener Hunger sein sollte. Bin ich selber bereit, mir einen Wunsch von
meinem Mund abzusparen, kann ich auch meinen Naechsten ein wenig (nur ein
wenig!) darben lassen, um mir meinen Wunsch zu erfuellen.
4.1.5. Die Ethik 4.1. kann von einzelnen Elementen des Kollektivs sehr
hohe Opfer zugunsten der Allgemeinheit erwarten, vor allem wenn sich nicht alle an dieser Ethik orientieren. Manch einer müßte mit den Hungernden verhungern, wenn er alles teilt.
Deshalb kann man ueber andere Optimierungsalgorithmen nachdenken.


4.2. Denkbar waere das Recht des Staerkeren. Jeder ist nur fuer sich selber
verantwortlich.

4.3. denkbar ist auch ein Kompromiss aus den Ethiken 4.1.
und 4.2.,
4.3.1. etwa indem man jedem Subjekt ein Mindestmass an Anspruechen
zugesteht (zB Sozialhilfe), und auf der anderen Seite ein Mindestmass an
Solidaritaet (vgl. unterlassene Hilfeleistung) fordert.
4.3.2. Wenn die Bibel von _Naechsten_liebe spricht, deutet sie an, dass der
Wille des Naechsten im Abwaegeprozess (4.1.3.) geringer gewichtet werden
mag als der eigene, und zwar um so geringer, je weiter er einem entfernt
steht.
4.3.3. Der Koran (6,142) fordert zB, daß Almosen nur vom Überfluß, nicht aber vom Lebensnotwendigen zu geben seien.

4.4. In seltenen Faellen ist es moeglich (wenn vielleicht auch nicht
wuenschenswert), eine Ethik zu entwickeln, indem man nach der Summe des
Gluecks aller Subjekte eines Kollektivs optimiert. Beispiel: 10 Menschen
sind auf einer arktischen Insel notgelandet. Die Kleidung reicht aber nur
aus, um 5 Menschen bis zum Eintreffen der Rettungsmannschaften hinreichend
warm zu halten. (Ich wuensche keinem, je in ein derartiges Dilemma zu
geraten.) Ein anderer Fall wäre die Vermeidung von Reibungsverlusten, die mit dem Ausschluß (Todesstrafe oder Ausweisung) von Apostaten erreicht werden kann, siehe die unter 2.3.3. genannten Bibelstellen, in Zeiten existenzieller Bedrohung kann Einigkeit überlebenswichtig sein. Titus3,10 oder Mt18,17.
4.5. Sind die Wünsche der Menschen weitgehend bekannt und hat man einen Algorithmus zum Abgleich gewählt, kann man die Ethik in Form eines Verhaltenskodex' ausformulieren.
4.5.1. Ein Grossteil der Wuensche ist genetisch programmiert, ein anderer Teil
kuturell erworben, und ein letzter Teil ist leicht beeinflussbar. Wuensche
sind also oft von vornherein bei allen Individuen relativ gleichgerichtet,
sodass eine formulierte Ethik oft nur leicht variierend nachschreibt, was in
den Genen bereits vorgeschrieben ist.

5. So ist es nicht verwunderlich, etwa die goldene Regel in vielen verschiedenen Kulturkreisen wiederzufinden: Christentum, Islam, Judentum, Hinduismus, Buddhismus, afrikanische und amerikanische Religionen.
"It's wonderful!" (Francis Kardinal Arinze, der Präsident des päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, am 4.8.2000 im Pavillon des Vatikan auf der Expo in Hannover zu dieser Parallelität.)

5.1. Mt 7,12 ist eine in vielen Situationen brauchbare Naeherung des
Satzes 4.1., besser ausgedrueckt wird der Sachverhalt durch 3.Mo19,18b.
5.2. Ein passender Hadith waere: "Wuensche fuer die Menschen, was du
fuer dich wuenschst, und du wirst Muslim sein" *1)
5.3. ...

 

links und Literatur
*1) Tarmadhi 3,378 entnommen aus: Mohammed: Worte wie Oasen, Herder-Verlag, Seite 64

http://www.churchmail.de/bibli/~ethik.htm Ethik aus christlicher Sicht

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erstellt: Sommer 2000 letzte Änderung: Sommer 2000